10.03.2022
Ernährung & Landwirtschaft

Eine ährenvolle Aufgabe

Wenn die Landwirtschaftsexperten Felix Zingg und Florian Bernardi im Frühling mit Handschaufel und Zollstock auf liechtensteinischen Feldern unterwegs sind, wird es spannend. Dann zeigt sich, ob jene Saat aufgegangen ist, die im Herbst im Rahmen eines Bionetz-Projektes gesät worden ist, um der heimischen Biolandwirtschaft neue Perspektiven zu schaffen. – Wir haben den beiden bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen dürfen.

Die hellen Sonnenstrahlen und bereits schneefreien Felder trügen. Es ist kalt und windig an diesem Märzmorgen, als wir die beiden Experten auf dem Schaaner Weidriethof von Biobauer Georg Frick treffen. Das Tagespensum ist dicht, es gilt gleich mehrere Landwirtschaftsflächen von Mauren bis Balzers unter die Lupe zu nehmen. Oder wie es fachlich richtig heisst: zu bonitieren.

Vom Hof sind es nur wenige Schritte über die Benderer Strasse und wir stehen bereits mitten auf dem ersten Acker. „Auf diesem langgestreckten, fünf Hektar grossen Feld sind im Oktober letzten Jahres insgesamt zehn Streifen mit unterschiedlichen Brotgetreidesorten angebaut worden“, erklärt Florian, während er seine Schreibmappe aufschlägt und erste Notizen macht. Der 37-jährige, gebürtige Südtiroler lebt und arbeitet in Liechtenstein und ist seit zwölf Jahren für ein liechtensteinisches Ingenieurbüro für Agrar- und Umweltberatung sowie beratend für den Verein Feldfreunde tätig. „In diesem von der Stiftung Lebenswertes Liechtenstein initiierten und geförderten Bionetz-Projekt leisten wir eine Art Pionierarbeit: Wir wollen den Anbau gleich von mehreren, in Liechtenstein bis dato wenig bis nie angebauten Getreidesorten testen, die in Folge nicht nur für heimische Biobauern in Sachen Qualität und Vermarktung interessant sein könnten, sondern gleichzeitig auch mehr Vielfalt auf den Acker, in die Fruchtfolge und letztlich auch auf die Teller bringen“, fasst Florian die Ziele zusammen.

Auf dem Feld spriesst bereits zartes Grün. Frische Farbtupfer auf der noch kalten, braunen Frühlingserde. Felix gräbt die ersten Pflanzen samt Wurzeln behutsam aus und legt sie zur genaueren Betrachtung nebeneinander auf ein weisses Brett. Eine Urdinkel-Sorte. Mit prüfendem Blick studiert er zunächst die Bestockung: den Übergang von ober- zu unterirdischem Pflanzenteil. Danach zählt er die bereits entwickelten Seitentriebe, aus denen später die Ähren wachsen werden und anhand derer man den Ernteertrag zumindest grob hochrechnen kann. Beim Betrachten der Wurzeln huscht über das konzentrierte Gesicht ein Lächeln. „Schönes Wurzelbild. Die weisse Farbe deutet auf einen guten Stoffwechsel der Pflanze hin. Schwarz würde eher auf einen Pilzbefall hindeuten“, ist der Fachmann zufrieden.

Besonders angetan ist Felix von den vielen, feinen Wurzelhärchen. „Die sind eigentlich der aktivste Teil der Pflanze. Durch diese tauscht sie sich mit dem Boden aus, nimmt Nährstoffe auf und pumpt Zucker in den Boden. Und auch die kleinen Erdbrocken, die daran hängen, sind ein gutes Zeichen“, schwärmt der 37-Jährige, während er das zarte Gewächs in seiner erdigen Hand begutachtet.

Felix ist neben seiner Anstellung am Institut für Agrarökologie, die das Bionetz-Projekt koordiniert und leitet, selbst Biobauer und bewirtschaftet rund 20 Hektar im Kanton Zürich. Seinen ursprünglich erlernten Beruf als Modellschreiner hat er schon früh gegen eine für ihn „mehr sinnstiftende Arbeit“ an der frischen Luft in der Natur getauscht.

Ackerstreifen für Ackerstreifen nimmt das eingespielte Duo unter die Lupe. Felix gräbt laufend Pflanzenproben aus dem Acker, Florian führt genau Protokoll und legt einen eigens angefertigten Rahmen mit Unterteilungen immer wieder auf das Feld und fotografiert diesen ab. So kann er unter anderem die Abstände zwischen den einzelnen Getreidepflanzen messen und die Bestandesdichte feststellen.

„Roggen benötigt aufgrund seiner grossen und langen Ähren – etwa im Gegensatz zum feiner gebauten Weizen – eine deutlich geringere Bestandesdichte. Zu dicht an dicht gepflanzt besteht die Gefahr, dass der schwere Roggen sogar umfällt“, weiss Felix und macht auch gleich den Unterschied zwischen Biolandwirtschaft und konventioneller Bewirtschaftung deutlich: „Beim Roggen würde man für mehr Ertrag vielleicht chemische Mittel spritzen, die bewirken, dass sich die Halme kürzer ausbilden und gleichzeitig standfester werden. Damit wären mehr Pflanzen auf einer Fläche möglich, ohne dass diese umkippen.“

Fotos: Julian Konrad

Bei ihrer konzentrierten Arbeit stechen den beiden Fachmännern vereinzelt Unkräuter ins Auge. Felix deutet auf die eher unscheinbaren Gewächse: „Vor allem Kamille und da und dort auch Taubnessel oder Vogelmiere.“ Wichtige Beobachtungen, die ebenfalls in die Bonitur einfliessen und dem Landwirt helfen, rechtzeitig darauf zu reagieren. Auch bei der Unkrautbekämpfung geht ein Biobauer anders vor als seine konventionell wirtschaftende Kollegenschaft. Nicht mit der chemischen Keule, sondern lediglich mit mechanischer Hilfe: Er montiert einen sogenannten Striegel mit nach unten zeigenden Metallhaken an den Traktor und fährt damit über die betroffene Fläche. Dabei wird das Unkraut aus der oberen Bodenschicht gerissen, ohne die bereits über die Wintermonate gewachsene Saatpflanze unter der Erde zu beschädigen.

Das erste grosse Feld ist bonitiert. Florian und Felix sprechen nochmals über ihre Eindrücke und die erhobenen Daten. „Generell sind keine Schäden sichtbar und die Pflanzen durchwegs gut und kräftig entwickelt“, zieht Felix ein erstes, positives Resümee. Ehe es zum nächsten Acker geht, blickt Florian nochmals auf die weite Fläche zurück: „Ich freue mich schon darauf, wenn hier bald die einzelnen Getreidesorten nebeneinander in verschiedenen Farbtönen leuchten. Das wird auch für die vorbeifahrenden Autofahrer ein schönes Bild geben.“

Nach einer kurzen Fahrt über staubige Feldwege stehen wir nur wenige Minuten später auf der nächsten Fläche: Ein Acker des Riethof-Biobauern Martin Kaiser, auf dem im Herbst nebeneinander Rollgerste, Hartweizen und Dinkel angepflanzt worden sind. Noch vor der ersten Bodenprobe fällt Felix sofort die etwas verschlemmte Oberfläche auf: „Das wirkt dann wie ein Deckel und erschwert dem Boden den so wichtigen Luft- und Gasaustausch. Mit Striegeln lässt sich das aber leicht beheben, weil die dabei in die Erde gerissenen, schmalen Streifen für die nötige Durchlüftung sorgen. Ansonsten ist das Feld aber wirklich tipptopp und praktisch ohne Unkraut.“

Auch die erste Schaufelprobe im Rollgersten-Streifen bestätigt das Bild. Florian dreht mit Kennerblick die zarte Pflanze in seiner Hand: „Keine gröberen Verdichtungen und schön verzweigt – ganz typisch für die Gerste, bevor sie in die Höhe schiesst.“

Auf dem nächsten Streifen – ein Dinkel mit dem klingenden Sortennamen „Edelweisser“ – sind sich die beiden Experten rasch einig. „Obwohl Dinkel an sich kaum Gülle braucht, würde ich auf diesem Feld doch so zwischen 20 und 30 Kubikmeter davon empfehlen“, rät Felix. Florian zeigt auf das nahe Stallgebäude des Biobauern, aus dem uns viele neugierige Kuhaugen beobachten: „Dieser Landwirt hat dafür ja genug eigene Rinder. Viehlose Biobauern müssen die Gülle entweder von Kollegen beziehen oder auf organischen Handelsdünger zurückgreifen. Und jetzt ab März ist für die Ausbringung die ideale Zeit: Der noch kalte Boden ist für den schweren Traktor fest genug und dennoch bereits aufnahmefähig. Und die Pflanzen haben erst eine geringe Wuchshöhe, die beim Drüberfahren nicht stört.“

Um das Erdreich noch exakter zu analysieren, greifen die beiden Experten nach zwei langstieligen Bodenstechern und treiben diese mit kräftigen Drehbewegungen tief in die Erde. Sie nehmen etwa 20 solcher Einstiche quer über die gesamte Ackerfläche vor und mischen daraus letztlich nur eine Probe mit maximal 1 kg Gewicht. „Das schicken wir in ein Labor, wo vor allem die verschiedenen Nährstoffgehalte ausgewertet werden. An den Ergebnissen kann der Landwirt dann die entsprechende Düngung ausrichten“, erklärt Florian.

Hat der liechtensteinische Boden eigentlich auffallende Eigenheiten? „Generell ist hier im Land der pH-Wert sowie der Humusgehalt überdurchschnittlich hoch“, weiss Florian und streicht mit dem Finger über den mit Erde gefüllten Bohrstecher. „Hier sieht man einen Ausschnitt vom Bodenaufbau mit der oberen, stark durchwurzelten Schicht und den darunterliegenden Sedimentablagerungen vom Rhein. In Balzers etwa ist der Boden im Vergleich zum Schaaner Riet noch etwas sandiger und trockener. Zum Teil beinhaltet er auch mehr Kies.“

Stichwort „Balzers“: Dort warten bereits die nächsten Felder auf ihre Bonitur. Während Felix noch in Ruhe das letzte Hartweizen-Feld begutachtet, erzählt Florian, was dank des umfangreichen Bionetz-Projektes bereits konkret geplant ist: „Letztlich wollen wir, dass alle Auswertungen und Erfahrungen mit hierzulande neuen Getreidesorten den liechtensteinischen Bauern zugutekommen. Wir arbeiten an Infoblättern, welche die gesammelten Daten nicht nur zusammenfassen, sondern auch klare Empfehlungen geben, was letztlich für den Anbau auf heimischen Böden geeignet ist und was nicht.“

Auch Felix ist mittlerweile mit seiner Arbeit fertig und bereit für die Weiterfahrt zum nächsten Feld. Beim Verstauen der Werkzeuge im Auto dreht sich Florian nochmals kurz in Richtung des Landwirtschaftsbetriebes von Martin Kaiser: „Dieser Biohof hier ist übrigens ein gutes Beispiel, dass neue Getreidesorten auch die Chance bieten, kurze regionale Wertschöpfungsketten aufzubauen und neue Produkte für den regionalen Markt zu produzieren. Der hier auf diesem Feld angebaute Hartweizen soll nämlich gemeinsam mit den Eiern aus der eigenen Hühnerhaltung und mittels eines regionalen Kooperationspartners zu hochwertigen Teigwaren verarbeitet werden: also Teigwaren, die wirklich zu 100% aus Liechtenstein stammen.“ – Eine Vorstellung, die einem nicht nur angesichts der heranrückenden Mittagsstunde im Schaaner Riet das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt, sondern auch richtig Appetit auf eine innovative und nachhaltige Landwirtschaft in Liechtenstein macht.

Agrarökologie Liechtenstein, Bionetz-Projekt «Getreideanbau»

Ziel: Anbau von verschiedenen Wintergetreide-Sorten nach Richtlinien der Bio Suisse (Marke Knospe) zur menschlichen Ernährung. Neben dem Verkauf an Grossabnehmer ist geplant, das geerntete Getreide regional zu Spezialitäten zu verarbeiten, zu vermarkten und letztlich auch in FL zu verkaufen.

Getreidearten:
- Brotweizen (4 Sorten)
- Dinkel (6 Sorten)
- Hafer (Winter-Nackthafer zur Herstellung von Haferflocken)
- Hartweizen (3 Sorten zur Herstellung von Teigwaren)
- Roggen (2 Sorten zur Herstellung von Backwaren)
- Rollgerste (4 Sorten)
- Speise-Triticale (Kreuzung Weizen/Roggen)

Aussaat: Oktober 2021
Ernte: Juli 2022

Beteiligte Biolandwirte in FL: 7

Gesamtanbaufläche: 15 ha (verteilt auf die Gemeinden Mauren, Eschen, Schaan, Vaduz und Balzers)

Erwartete Erntemenge: rund 60 t (deckt den Pro-Kopf-Jahreskonsum von Getreideprodukten von etwa 750 Menschen)