15.12.2021
Energie & Ressourcen

«Für mich ist ein lebenswertes Liechtenstein sehr eng mit lebenswerten Räumen verbunden.»

In Zeiten von Corona und Neo-Biedermeier scheinen die eigenen vier Wände und der Garten vor dem Haus wieder an Bedeutung gewonnen zu haben. Welche Rolle können da noch öffentliche Räume und Plätze für uns spielen? Und wie können diese unser aller Wohlbefinden steigern oder gar den sozialen Zusammenhalt stärken? – Wir haben zu diesen und anderen Fragen den Liechtensteiner Landschaftsarchitekten Peter Vogt zum Interview gebeten.

Eine grundsätzliche Frage vorab: Was genau macht ein Landschaftsarchitekt? Wo liegen die Schwerpunkte der Arbeit?
Ich sage gern, dass unsere Arbeit ab der Türschwelle beginnt. Bei allem, was draussen im Freiraum passiert, kommen wir ins Spiel. In der Freiraumgestaltung schaffen wir beispielsweise öffentliche Freiräume wie Pärke, Plätze, Schulanlagen oder Friedhöfe. Besonders faszinierend ist die Freiraumplanung, sprich die mit dem Städtebau einhergehende Positionierung und Proportionierung von Freiräumen. Weiters sind wir im Bereich der Gewässerraumgestaltung und im Naturschutz tätig.

Wie gehen Sie prinzipiell bei der Planung von freien Plätzen und Räumen vor?

Gerne fahren wir mit unserem Bürobus zu den Projekten und gestalten diese vor Ort. Wichtig ist, sich mit dem jeweiligen Platz vertraut zu machen: Wie und von wem wird der Raum genutzt? Dabei prüft man natürlich auch Dinge wie etwa den täglichen Sonnenlauf. Erst bei genauerer Betrachtung erkennt man, wo Potentiale für den Lebensraum schlummern.

Mit welchem Projekt sind Sie aktuell beschäftigt?

Wir gestalten gerade den Raum rund um das Rheindenkmal neu, das in Erinnerung an den Dammbruch und die Überflutungen 1927 ein paar Jahre danach in Schaan errichtet worden ist. Unter anderem wird dabei auch der Ortsauftakt Schaan West neu gestaltet. Es werden Alleen gepflanzt und blühende Staudenflächen angelegt.

Bleiben wir gleich bei Geschichtlichem: Wie hat sich die Bedeutung von öffentlichen Plätzen und Räumen im Laufe der Zeit gewandelt?

Ein gutes Beispiel dafür ist in unseren Breiten der Dorfplatz mit dem Brunnen. Früher war das nicht nur ein idyllisches Plätzchen, sondern auch der wichtigste Drehpunkt und Ort der Kommunikation. Nach der Sonntagsmesse, bei der früher alle zusammenkamen, wurden auf dem Dorfplatz Informationen verkündet und ausgetauscht. Um Wasser im Haus zu haben, musste damals ebenfalls jeder zum Brunnen gehen und tauschte sich bei der Gelegenheit mit den anderen Dorfbewohnern aus. Wichtige Neuigkeiten hat man damals eben meist am Brunnenplatz erfahren und nicht wie heutzutage zu Hause aus der Zeitung, dem Fernsehen oder dem Internet. Diese Bedeutung als Drehpunkt fällt heute im öffentlichen Raum weg. Und damit auch ein gewisser Zwang oder Druck, unbedingt dorthin gehen zu müssen. Insofern hat sich die Bedeutung und die Frage der Berechtigung des öffentlichen Raums in der heutigen Zeit verlagert.

Ist es heute daher notwendig und sinnvoll, einen öffentlichen Raum thematisch zu „bespielen“, also eine konkrete Nutzungsmöglichkeit vorzugeben und anzubieten?

Manchmal ist es sicher hilfreich. Meist sind sportliche Angebote einfache Lösungen und bieten solche Anziehungspunkte. Speziell freut es mich, wenn ich sonntags beim Gymnasium in Vaduz vorbeispaziere und dort auf einem an sich nicht dafür gedachten Kiesplatz Leute Boccia spielen sehe.

Was kommt im öffentlichen Raum sonst noch gut an?

Interessanterweise haben gerade in unserer Region Menschen oft Schwierigkeiten, wenn es vor Ort nichts zu essen und zu trinken gibt. Ein klassisches Beispiel: Auf einem Platz, auf dem in der kalten Jahreszeit etwa Glühwein und Marroni angeboten werden, tummeln sich rasch Menschen. In Vaduz haben wir folgende spannende Erfahrung gemacht: Ein Platz war zunächst ohne Konsumationsangebot, lediglich offen und einladend gestaltet sowie mit ausreichend Sitzgelegenheiten ausgestattet. Als wir uns als Gruppe einmal dort trafen und jeder für sich selbst Getränke mitbrachte, kamen sofort junge Menschen interessiert auf uns zu. Sie haben sich schliesslich ebenfalls selbst Getränke geholt und es sich dann auf dem Platz gemütlich gemacht. Solche Impulse und andere Menschen regen uns an, Freiräume zu nutzen. Mit einem Konsumationsangebot vor Ort geht das erfahrungsgemäss leichter.

Gibt es ganz allgemein menschliche Eigenheiten oder Dynamiken, die man als Landschaftsarchitekt bei Planungen berücksichtigen sollte?

Es ist auffallend, dass bei neugestalteten Räumen zunächst meist die Ränder genutzt werden. Niemand hockt gern als erster allein im Zentrum und setzt sich so freiwillig der Beobachtung durch andere aus. Der Nutzungsgrad eines Freiraumes wächst in der Folge gleichsam von Aussen nach Innen. Für die meisten Menschen ist es zudem angenehm, im Rücken Grün zu haben. Pflanzen vermitteln uns offenbar ein gewisses Schutzgefühl und Geborgenheit.

Mitunter muss man auf öffentlichen Flächen die Interessen von unterschiedlichen Nutzern unter einen Hut bringen. Wie kann das gelingen?

Das Schwierigste ist wohl das Multifunktionale: Wenn etwas alles können muss, kann es vorkommen, dass es schlussendlich nichts leisten kann. Manchmal ist es daher geschickter, verschiedene Bereiche zu schaffen – mit aktiven und passiven Nutzungsmöglichkeiten. Diese Areale können auch direkt angrenzend sein, etwa ein Skatepark für Hobbysportler sowie entferntere, beschauliche Bereiche für Menschen, die ihnen lediglich beim Training zusehen wollen. Ein einfaches Universalrezept gibt es aber nicht. Man muss jede Planung individuell an die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten und Besonderheiten anpassen.

Foto: Julian Konrad

Stichwort „örtliche Besonderheiten“: Gibt es für Liechtenstein etwas, das für öffentliche Räume hier im Land typisch ist?

Unterschiede in der unmittelbaren Region zwischen Liechtenstein, Schweiz oder Vorarlberg kann ich nicht wirklich ausmachen. Als ich allerdings in Barcelona lebte und studierte, habe ich wahrgenommen, dass dort der öffentliche Raum anders und intensiver genutzt wird. Da spielt allein schon das wärmere Klima eine Rolle. Oder wenn man beispielsweise in einer kleinen Wohnung in einer japanischen Grossstadt lebt, dann werden öffentliche Flächen wesentlich und man ist geradezu gezwungen, sich diese angebotenen Räume auch anzueignen. Der Nutzerdruck in unseren öffentlichen Freiräumen ist da momentan noch geringer, da der eine oder andere hierzulande über einen kleinen eigenen Garten verfügt und wir leicht auf umliegende Wälder und Berge ausweichen können.

Eines der vier Fokusthemen der Stiftung Lebenswertes Liechtenstein ist der soziale Zusammenhalt. Wie kann man diesen als Landschaftsarchitekt fördern?

Wichtig ist, dass der öffentliche Raum immer auch eine Plattform bietet, die den Austausch untereinander fördert, und die Nutzer – auch mit architektonischen Mitteln – einlädt statt abweist. Es geht also darum, eine Atmosphäre zu schaffen, die den Menschen wohltut.

Und wie wichtig ist Ihnen persönlich das Thema „Sozialer Zusammenhalt“?

Sozialer Zusammenhalt sowie soziale Aspekte sind mir sehr wichtig. Wir bieten daher jedem unserer Kunden auf freiwilliger Basis an, dass wir gemeinsam mit der Kundschaft 5 Prozent des Honorarumsatzes für ein soziales Projekt spenden. So wollen wir persönlich Solidarität und sozialen Zusammenhalt auch wirklich leben. Auf diese Weise konnten wir mit aktuell vier laufenden Projekten in Afrika und Südamerika schon vieles bewirken.

Was wünschen Sie sich von der Stiftung Lebenswertes Liechtenstein, die ihre Tätigkeit ganz bewusst auf das eigene Land fokussiert?

Für mich ist ein lebenswertes Liechtenstein sehr eng mit lebenswerten Räumen verbunden. Ich halte es daher für wichtig, dass sich eine thematisch so ausgerichtete Stiftung auch Initiativen im Bereich Landschaftsgestaltung und Landschaftspflege widmet. Darüber hinaus sollte man sich auch ganz allgemein jener Projekte annehmen, die vielleicht von der Grösse her als einzelnes Projekt nicht über die nötige Stärke oder Schlagkraft verfügen, aber wertvolle Beiträge für das Gemeinwohl leisten können.

Gäbe es eine Idee oder ein Projekt, das Ihnen in Liechtenstein besonders am Herzen liegen würde?

Oh, da gibt es viele! Ich wäre etwa sehr dafür, bei uns neue Parkanlagen mit Wasserflächen als Naherholungsplätze für Mensch und Tier zu schaffen. Und ich wünsche mir, dass Liechtenstein in 50 Jahren für seine schönen Alleen in Europa bekannt ist. Dazu müsste man allerdings schon morgen damit anfangen.

Warum gerade Alleen?

Bäume liegen mir generell sehr am Herzen. Wenn ich in der Region unterwegs bin, tut es mir weh, wie gewisse Bäume aussehen. Das müsste nicht sein. Alleen strukturieren und bereichern die Landschaft und leisten grosse klimaregulative Beiträge.

Zum Abschluss: Haben Sie einen Platz in Liechtenstein, an dem Sie sich besonders wohlfühlen und sich auch gerne allein oder mit Freunden aufhalten?

In Balzers gibt es die sogenannte Allmend, eine kleine Alpe ausserhalb des Dorfes. Der stattliche Buchenhain dort ist ein spezieller Kraftort für mich. Das ist zwar kein klassischer öffentlicher Raum, aber eine Art Landschaftspark, welcher der Gemeinschaft gehört. Da ich gerne Menschen treffe, halte ich mich aber auch gern am Vaduzer Rathausplatz oder in Schaan am Lindaplatz auf.

Zur Person

Peter Vogt (*1984) ist gelernter Landschaftsgärtner und studierter Landschaftsarchitekt und seit 2015 Geschäftsführer der peter vogt Landschaftsarchitektur. Darüber hinaus ist er Dozent für Landschaftsarchitektur an der Universität Liechtenstein sowie Mitglied der GEKO Gestaltungskommission Glarus Nord. Mehr Info unter:

www.petervogt.com