07.06.2022
Ernährung & Landwirtschaft

Herd trifft Hof

Im Mai 2022 lud der Verein Feldfreunde zur ersten Produzentenarena nach Triesen. Unter der Leitung von Foodscout und Autor Dominik Flammer trafen sich liechtensteinische Lebensmittelproduzent:innen und Gastronom:innen, um kürzere Wege gemeinsam zu gehen

Die ungewohnte Beginnzeit macht Sinn: An einem Montag Nachmittag um 15 Uhr stehen die Chancen gut, dass Köch:innen ihre Lokale geschlossen und Bauern und Bäuerinnen ihr schon zeitig in der Früh begonnenes Tagwerk grossteils beendet haben. Der Termin allein ist allerdings nicht der Grund, warum sich die Produzentenarena von klassischen Informations- oder Netzwerkveranstaltungen unterscheidet, auf denen zwar viel geredet und ausgetauscht wird, aber im Nachgang letztlich wenig passiert. Heute und hier geht es ganz konkret darum, heimische Berufsgruppen und Betriebe zusammenzubringen.

Dominik Flammer verliert keine Zeit. „Bitte alle reinkommen!“, ruft er über den Vorplatz des Kulturzentrum Gasometer in Triesen, auf dem sich neben Landwirt:innen und Gastronom:innen rund 25 weitere interessierte Teilnehmer:innen eingefunden haben. Nach kurzer Begrüssung durch die Hausherrin Petra Büchel und einleitenden Worten von Flurina Seger, Präsidentin des Vereins Feldfreunde, übernimmt Dominik Flammer das Kommando. Mit anschaulichen Worten und anhand nur weniger Bilder führt der 56-jährige Schweizer in das Thema ein. Er streift dabei kurz die Geschichte der heimischen Nahrungsmittel und erzählt beispielhaft von heute bestens vertrauten Getreidesorten, die ursprünglich von anderen Kontinenten stammen oder von Aubergine und Brokkoli, die noch vor wenigen Jahrzehnten in unseren Breiten nahezu unbekannte Gemüsesorten waren. „Unser Geschmack und unser Essen ändern sich. Und diese Vielfalt gilt es auch immer wieder neu zu entdecken“, ermutigt er die Anwesenden, ehe er aus deren Kreis drei Landwirte und drei Köch:innen zu sich an die Stehtische bittet. Ein munteres Ping-Pong-Spiel beginnt. Die drei heimischen Produzenten erzählen, was sie anbauen oder züchten und welche Vertriebswege sie bis dato nutzen. Moderator Dominik Flammer hört aufmerksam zu und spielt den Ball sofort weiter, wenn er konkrete Anknüpfungspunkte sieht. „Du züchtest Yaks in Triesenberg? Ja, warum ist dein Fleisch hierzulande noch auf keiner Speisekarte zu finden?“ Und direkt an Martin Real gewandt, der das Restaurant Weinlaube in Schellenberg führt: „Wäre das nichts für dich? Du bist doch ein begnadeter Grillmeister?“

Die Arena nimmt spürbar Fahrt auf. Der Schaaner Biolandwirt Georg Frick schildert, wie er dank der Zusammenarbeit mit einer Floristin Produkte in einem eigenen Hofladen anbieten kann, aber auch, wie er daran gescheitert ist, seine blauen St. Galler Kartoffel in Eigenregie an regionale Restaurantbetriebe zu verkaufen. Peter Kaiser von der Alten Mühle in Balzers erzählt, dass er sein Mehl unter anderem im örtlichen Migros zum Verkauf anbietet. Und Yunyun Ye, Chefköchin des Ruggeller Restaurants Tang, berichtet, dass sie bei ihrer traditionellen asiatischen Küche auf regionales Fleisch und Gemüse setzt.

Die Veranstaltung ist mittlerweile zu einem offenen Forum geworden. Erfahrungen werden ausgetauscht und aktuelle Probleme wie Preisdruck und der Aufbau neuer Vertriebswege offen diskutiert. Auch die in den Reihen sitzenden Teilnehmer sind längst keine stummen Zuhörer mehr, sondern bringen sich aktiv ein. Als Martin Real etwa davon spricht, dass ihm in Liechtenstein kein Bio-Poulet-Betrieb bekannt ist, meldet sich aus dem Publikum der Eschner Landwirt Andreas Näscher zu Wort. Seit Januar 2022 leben auf seinem Hof 400 Biohühner. Hennen und auch Bruderhähne, die normalerweise noch als Küken getötet werden, weil sie langsamer wachsen und weniger Fleisch ansetzen. „Darf ich einmal bei dir vorbeikommen?“, fragt der Schellenberger Wirt den Eschner Biobauern. Die heutige Produzentenarena trägt erste Früchte.

Dominik Flammer gibt sich damit allerdings nicht zufrieden. Als erfahrener Food-Historiker und moderner Foodscout kennt er nicht nur die landwirtschaftlichen Schätze, die es in der Region zu heben gilt, sondern auch die Bedürfnisse und Wünsche der Gastronomie. „Wie sieht es eigentlich mit heimischen Fischen aus?“, wirft der umtriebige Moderator in die Runde. Wieder ergreift Martin Real das Wort und erzählt von einer ehemaligen Zucht im Spoerry-Weiher in Vaduz, die aber nach einem Vandalenakt am Teich eingestellt wurde. Seither kommen die Fische auf seiner Speisekarte aus weiter weg liegenden Seen wie den Zürichsee, dem Walensee oder dem Bodensee. Oder vom Grosshändler. „Redet miteinander! Fischzucht hat hier in Liechtenstein mit Sicherheit Potenzial“, fordert Dominik Flammer die Teilnehmer auf.

Als Biobauer Andreas Näscher beiläufig erwähnt, dass er in seinem kleinen Hofladen auch Bio-Haferflocken aus eigenem Anbau anbietet, greift der Moderator diese Information spontan auf: „Ich kann dir aus dem Stand einen Abnehmer nennen, der dir davon ordentliche Mengen abkauft – und sie auch gleich selbst abholt.“

Die erste Produzentenarena auf liechtensteinischem Boden ist zu Ende. Zwanglos finden sich die Teilnehmer in kleineren Gesprächsgruppen im Freien wieder. Auch Dominik Flammer steht an der frischen Luft und lässt bei einer Zigarette seine Eindrücke ausrauchen: „Wir brauchen solche Plattformen, damit Produzent:innen und Köch:innen zusammenfinden. Die treffen oder besuchen sich sonst einfach nie. Und hat man sich erst einmal kennengelernt, läuft alles weitere meist von allein.“ An die 30 solcher Produzentenarenen hat der 56-jährige Schweizer mittlerweile bereits moderiert. Die erste im Jahr 2016. „Damals kamen junge Köche aus Zürich mit der Frage auf mich zu, wo man denn an gutes Gemüse aus der Umgebung herankäme.“

Auch für Liechtensteins Gastronomie sieht er in der Regionalität die grösste Chance: „Die Menschen brauchen nicht noch mehr Restaurants, die auf französische oder italienische Küche machen. Viele haben Sehnsucht nach echter Seelennahrung, die sie aus ihrer Kindheit kennen – nur besser gemacht und auf einem höheren Niveau präsentiert. Mit gutem Fleisch, regionalen Beilagen und hausgemachten Saucen. Dafür ist man auch bereit, mehr zu zahlen. Weil es sich lohnt und einem so im Lokal auch eine Geschichte aufgetischt werden kann.“ – Wertvolle Geschichten, die ihren Anfang in Zukunft häufiger auf einem Feld, einer Wiese oder in einem Stall in Liechtenstein nehmen sollen.

Zur Person
Dominik Flammer (*1966) ist Buch- und Drehbuchautor sowie Foodscout und beschäftigt sich seit 30 Jahren mit der Geschichte der Ernährung. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht das kulinarische Erbe des Alpenraums und dabei insbesondere die engere Zusammenarbeit zwischen der Landwirtschaft und der Gastronomie. Flammer ist Inhaber der Zürcher Agentur Public History Food, die sich auf die historische Recherche für die Wirtschaft und für die Ernährungsgeschichte spezialisiert hat. Mehr Info unter: www.publichistory.ch