30.07.2021
Mobilität

Liechtenstein als Vorbild

Als Industriestaat bietet Liechtenstein seinen Einwohnerinnen und Einwohnern Sicherheit, eine unversehrte Umwelt und einen hohen Lebensstandard.
Daniel Deparis
2019 gründete er die Initiative Urban Mobility Solutions von Daimler und leitet seither ein internationales und vielfältiges Team, das intelligente, nachhaltige Mobilität für Städte und Bürger gleichermassen gestaltet.

Liechtenstein als Vorbild

Die Attraktivität des Fürstentums ist weit über die Grenzen hinaus bekannt, weshalb insbesondere mehr als die Hälfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus den grenznahen Gebieten zum Arbeiten nach Liechtenstein kommen. Um dem steigenden Mobilitätsaufkommen gerecht zu werden, vor allem zu den Peak-Zeiten der Industrie, spielen nachhaltige, effiziente und zukunftsfähige Mobilitätslösungen für den Individual- und Nahverkehr schon heute eine große Rolle und werden wegweisend für die weitere Entwicklung des Standorts sein.

Die heutigen Herausforderungen der (vor-)städtischen und überregionalen Mobilität sind sehr komplex und die Anforderungen der Städte, Regionen und der Einwohner sind meist übertragbar: Die Mobilität in der Stadt muss sicher, effizient, nachhaltig und leicht zugänglich sein. Die richtigen Lösungen können jedoch sehr individuell oder, wie wir es nennen, kontextbasiert sein.

Auch Liechtenstein kennt diese Bedürfnisse, wenn auch nicht alle gleichwertig zu betrachten sind.

Die Zahl der Unfälle mit Verkehrstoten und Verletzten ist in Liechtenstein in den letzten Jahren rückläufig, wenn auch die Zahl der Unfälle leicht gestiegen ist. Wie andere Regionen auch, hat sich Liechtenstein zum Ziel gesetzt, die Zahl der Verkehrstoten und Schwerverletzten weiter zu senken und ist hier auf einem vorbildlichen Weg. Unfälle in Gänze zu eliminieren – die sogenannte Vision Zero - ist jedoch äußerst anspruchsvoll. Hier können Automobilhersteller mit ihren Innovationen und technologischen Fortschritten Abhilfe leisten. Die heutigen Fahrzeuge bieten durch die Vielzahl an Fahrerassistenzsystemen Sicherheit sowohl für den Fahrer als auch für die weiteren Verkehrsteilnehmer, wie z. B. Fußgänger oder Fahrradfahrer. Damit lassen sich zwei der Hauptgründe für Verkehrsunfälle – die mangelnde Aufmerksamkeit sowie das nicht beherrschen des Fahrzeuges – wirkungsvoll minimieren.

Eine neue Perspektive in Sachen Verkehrssicherheit ist die Nutzung anonymisierter Fahrzeugdaten, um gefährliche Stellen im Straßenverkehr zu ermitteln und gemeinsam mit der Stadt Verbesserungen einzuleiten. Fahrzeuge, die über das „Advanced Driver Assistance System“ (ADAS) verfügen, greifen vor dem Fahrer in Gefahrensituationen ein und entschärfen diese. Darüber hinaus lassen sich auf Basis der Fahrzeugdaten Rückschlüsse auf die Beschaffenheit der Infrastruktur ziehen. Die Fahrzeuge übermitteln Asphalt- und Temperatureigenschaften wie beispielsweise Eisglätte und GPS-Koordinaten an die Städte. Die daraus resultierenden Daten (Lokation, Eingriff, beteiligte Personen wie Fußgänger oder Fahrradfahrer) werden anonymisiert zusammengetragen und auf einer digitalen Karte zusammengestellt. Dabei hat Datenschutz oberste Priorität: Verfügt der Fahrer über einen Mercedes me connect Account, kann er seine Zustimmung zu einer Verarbeitung der Fahrassistenz-Daten geben. Ausschließlich dann werden solche Warnungen oder gar autonome Bremseingriffe aus dem Fahrzeug in die Mercedes-Benz Cloud gesendet und dort anonym weiterverarbeitet. Die Stadt kann diese Stellen analysieren, Maßnahmen ableiten und entsprechend umsetzen. Ziel ist es, zu agieren bevor Unfälle überhaupt passieren und einer reaktiven Planung mit einer proaktiven einen Schritt voraus zu sein.

Die Effizienz im Straßenverkehr stellt für Liechtenstein eine durchaus größere Herausforderung dar. Durch das hohe Pendleraufkommen, die vorhandene Infrastruktur und die topografischen Gegebenheiten kommt es insbesondere während der Hauptverkehrszeiten zu langen Staus und Wartezeiten. Ein wichtiger Baustein, um diese Situation zu verbessern, können neue Mobilitätslösungen wie die sogenannten „On-Demand Shuttles“ sein. Es handelt sich hierbei um Fahrzeuge, die kurzfristig per App gebucht und mehrere Personen in einer gebündelten Fahrt transportieren können. Es gibt keine festen Routen, sondern ein Algorithmus errechnet stets die optimale Strecke flexibel und nach Bedarf. Ein weiterer Baustein zur Steigerung der Verkehrseffizienz ist die intelligente Nutzung von Daten aus Fahrzeugen, von Städten und Verkehrsdaten, mithilfe derer der Verkehr simuliert, geplant und gesteuert werden kann. Ein Bespiel hierfür ist die sogenannte „Car2X“-Technologie, bei der Fahrzeuge untereinander, aber auch mit der Infrastruktur kommunizieren und somit den Verkehr optimieren können.

Auch Nachhaltigkeit spielt in Liechtenstein eine große Rolle. Als erstes Land weltweit trägt es den Titel „Energieland“, dessen Gemeinden zertifiziert für ihre Energiepolitik sind. Liechtenstein setzt auf eine effiziente Ressourcennutzung und hat den Anteil einheimischer, erneuerbarer Energie am Gesamtenergieverbrauch in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesteigert. Wie in vielen Regionen, Städten und Ländern jedoch, besteht auch in Liechtenstein Verbesserungspotential im Bereich nachhaltiger Mobilität. Der Großteil der Mobilität gründet derzeit auf dem motorisierten Individualverkehr. Der Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel sowie der Ladeinfrastruktur ist ausschlaggebend zur Verbesserung des ökologischen Fußabdrucks. Weltweit regulieren Städte und Regionen zunehmend die Durchfahrtsmöglichkeiten für Verbrennungsmotoren, ein Grund, weshalb Elektromobilität eine wachsende Rolle spielt. Bereits heute entscheiden sich Fahrzeugkäufer zunehmend für vollelektrische oder für Hybrid-Fahrzeuge (Verbrennerfahrzeuge, die zusätzlich mit einem Elektromotor und einer Batterie ausgestattet sind). Aufgrund der großen technischen Fortschritte erreichen diese Fahrzeuge nicht nur immer höhere Reichweiten, sondern sind auch mit den neuesten digitalen Funktionalitäten ausgestattet. Elektromobilität funktioniert allerdings nicht ohne eine entsprechende (Lade-)Infrastruktur. Auf Basis von Fahrzeugdaten lassen sich heutzutage beispielsweise Rückschlüsse auf die Implementierung der passenden Ladeinfrastruktur ziehen. Aus diesem Grund arbeiten Automobilhersteller gemeinsam mit führenden Ladeinfrastrukturanbietern zusammen, um den Ausbau an Ladestationen zu beschleunigen.

Zugang zu Opportunitäten: Jedes Land, jede Region, jede Kommune hat die Verantwortung, den Zugang zu Opportunitäten für Einwohner und Einwohnerinnen zu verbessern. Jobs, Kultur, Sport, Bildung, Freizeit – es gilt, die Angebote der Region neu zu entdecken, zu entfalten und zugänglich zu machen. Das ist es, was Mobilität ausmacht. In Liechtenstein gibt es unzählige Opportunitäten und Potenziale, die es zu verbinden und für jede und jeden zugänglich zu machen gilt. Das Land entwickelt sich in eine smarte Region und ist Vorreiter beim Testen und der Implementierung diverser Mobilitätslösungen. Wichtig ist jedoch, dass der Erfolg der Lösungen nicht nur von deren technischer Fähigkeit abhängt, sondern viel mehr von der Akzeptanz bei den Einwohnerinnen und Einwohnern. Sie müssen dabei immer im Mittelpunkt stehen, die Mobilitätslösungen für den Menschen entwickelt sein. Es geht darum, in jedem Kontext die beste Lösung anzubieten. Bei Regen oder Schnee wird das Mobilitätsverhalten ein anderes sein, als an einem warmen Sommertag. Die Kinder auf dem Arbeitsweg kurz in der Kita absetzen, zum Bäcker um die Ecke mit dem Fahrrad zu fahren - all diese unterschiedlichen Rahmenbedingungen müssen berücksichtigt werden. Durch individuelle, durchdachte und vernetzte Mobilitätsangebote, die den Einwohnerinnen und Einwohnern personalisiert zur Verfügung gestellt werden, wird das Gesamtverkehrsangebot ideal nutzbar für jeden.

Die Community als Treiber kontextbasierter, nachhaltiger Mobilität

Nur wer spürt, dass seine Bedürfnisse verstanden werden, wird eine Akzeptanz für eine neue Lösung entwickeln. Fundamental hierfür ist es, die Menschen zu verstehen, ihnen die Möglichkeit zu geben die neuen Opportunitäten auszuprobieren und daraufhin ihre Meinung einzuholen. Der frühe Erfahrungsaustausch mit den Einwohnerinnen und Einwohnern – der Community - ist essentiell. Wer könnte diese Aufgabe besser übernehmen, als eine Stiftung namens „Lebenswertes Liechtenstein“, Communities aufbauen und ein lebenswertes Liechtenstein für heutige und zukünftige Generationen entwickeln?