04.11.2021
Ernährung & Landwirtschaft

Mach Dich auf den Acker!

Wenn der Verein Ackerschaft im Herbst zu einer seiner Nachernten einlädt, treffen sich Gross und Klein auf heimischen Feldern und suchen nach wertvollem, in der Erde verbliebenem Gemüse. – Ein willkommener Anlass, den jungen, innovativen Verein näher vorzustellen, der von der Stiftung Lebenswertes Liechtenstein unterstützt wird.

«Auf zur Nachernte von Rüable» – Bunte Hinweisschilder führen von einem geschotterten Parkplatz zu einem frisch abgeernteten Feld im Schaaner Riet. Darauf tummeln sich weit verstreut bereits zahlreiche Kinder mit ihren Eltern. «Da, Mama!» Ohne vom dunklen Ackerboden aufzuschauen, reicht der zweijährige Toni seiner Mutter eine frisch ausgebuddelte Karotte. Leonie nimmt sie vorsichtig und legt sie in eine bereits gut gefüllte, weisse Tragetasche. «Ich war mit meinen Kindern schon öfters bei Nachernten. Neben der guten frischen Luft ist es für die Kinder wichtig, auch einmal zu sehen, wo das Gemüse überhaupt wächst. Ausserdem ist es jedes Mal ein schönes, unkompliziertes Event, an dem man viele nette Leute trifft», erklärt die dreifache Mutter und fügt mit einem verschmitzten Lächeln hinzu: «Irgendwie ist es auch cool, einmal selbst auf einem Feld zu stehen, an dem man sonst nur vorbeiläuft.»

Mitten im Trubel steht Sandra Fausch, Mitgründerin des Vereins Ackerschaft. In funktioneller Arbeitshose und dreckigem Schuhwerk blickt sie zufrieden auf die grosse, bunte Schar. «Die heutige Nachernte führen wir gemeinsam mit der Elternvereinigung Schaan durch. Für die dortigen Schüler und Schülerinnen, aber natürlich auch für deren Eltern und Geschwister. Die Anmeldungen sind wirklich durch die Decke gegangen. Und was mich noch freut: Sehr viele sind unserem Aufruf gefolgt, mit dem Rad hierherzukommen. Das gehört gerade bei einer solchen Veranstaltung einfach dazu», ist die 32-jährige Maurerin überzeugt, die ursprünglich als Devisenhändlerin in einer Bank arbeitete, ehe sie beruflich völlig umsattelte. «Irgendwann war es genug. Ich wollte mein Interesse für Natur und sinnstiftende, gemeinwohlorientierte Arbeit nicht nur an Wochenenden und in meiner Freizeit ausleben.» Während ihrer Ausbildung zur Umweltingenieurin fiel ihr schicksalshaft ein Flyer der in Deutschland gegründeten «GemüseAckerdemie» in die Hand und damit war der weitere Weg vorgezeichnet: Über den im Rheintal bekannten Ideenkanal bewarb sie sich im Frühling 2019 mit dem Vorhaben, einen Verein ins Leben zu rufen, der auf erfrischende und praxisnahe Art Neugier und Lust auf Natur und Gartenarbeit weckt und gleichzeitig die Wechselbeziehungen zwischen Nahrungsmittel und Mensch aufzeigt. Nur Monate später, im Dezember 2019, war der Verein Ackerschaft in Liechtenstein gegründet und damit die rechtliche Grundlage geschaffen, Projekte und das Bildungsprogramm «GemüseAckerdemie» auch in Liechtenstein anbieten zu können.

Auf dem Schaaner Acker geht es in der Zwischenzeit beschwingt weiter: King Elvis dröhnt aus einem kleinen Lautsprecher von einer einsam auf dem Feld stehenden Sitzbank. «Bei unseren Nachernten soll es künftig vielleicht sogar Live-Musik in bescheidenem Rahmen geben», erzählt Sandra Fausch begeistert. «Das macht es zu einem kleinen Happening und motiviert beim Ernten.» Offenbar auch die beiden Freunde Julian und Alexandre, welche die 4. Klasse der Schaaner Primarschule besuchen und für das orange Wurzelgemüse eine erfolgreiche Strategie ausgetüftelt haben. «Ich grabe und er sammelt auf», schildert Julian die Arbeitsteilung, während er einen vollen Kübel in eine Kiste leert. Es sind auffallend grosse und dicke Karotten dabei. Alexandre zeigt auf den etwas weiter entfernten, menschenleeren Feldrand und flüstert geheimnisvoll: «Die gibt es vor allem da hinten.»

Neben den seit 2020 gemeinsam mit heimischen Landwirten durchgeführten Nachernten konzentriert sich der Verein aktuell noch auf eine zweite bedeutende Projektschiene: das bereits erwähnte Bildungsprogramm «GemüseAckerdemie», das bisher noch auf Schulen und Kindergärten beschränkt ist. Dabei stellt die jeweilige schulische Einrichtung direkt vor Ort eine geeignete Gemüseanbaufläche zur Verfügung, die dann unter fachkundiger Anleitung des Vereins das ganze Ackerjahr über – vom Anpflanzen bis zur Ernte – von der Klasse oder Gruppe gemeinsam mit einer Lehrperson betreut wird. «Von uns kommen zusätzlich einmal wöchentlich sogenannte «AckerInfos», damit man weiss, was gerade auf der Anbaufläche sichtbar oder unsichtbar passiert und was es zu tun gibt», erklärt Sandra Fausch. Derzeit nehmen bereits vier liechtensteinische Einrichtungen an dem Bildungsprogramm teil, weitere Lernorte sind willkommen. Eine Ausweitung auf andere Zielgruppen ist durchaus vorstellbar. «Das Feedback ist von allen Seiten wirklich toll. Für viele ist der Gemüseacker direkt vor der Tür gar nicht mehr wegzudenken. Eine Pädagogin hat uns freudestrahlend erzählt, wie einmal alle ihre 30 Schüler und Schülerinnen nach einer Ernte zusammengesessen sind und gemeinsam genüsslich und laut schmatzend Salat verspeist haben. Sie nannten den fröhlichen Festschmaus «Salatparty». Andere tragen das selbst gepflanzte und geerntete Gemüse auch nach Hause, um dort damit zu kochen. Das erstaunt und begeistert auch immer wieder die Eltern», weiss Sandra Fausch zu berichten.

Zurück zu den fleissigen Primarschülern draussen im Schaaner Riet. Der sonnig-milde Erntenachmittag neigt sich langsam dem Ende zu. Vor dem Tisch mit der Waage hat sich bereits eine kleine Schlange gebildet. Ungeduldig warten die Kinder darauf, endlich ihren Sack oder Eimer voll Karotten wiegen zu dürfen. «Na, wie viel ist es, glaubst du?» Elisabeth Müssner, die zweite Mitgründerin des Vereins Ackerschaft, ist in der Zwischenzeit zur Unterstützung gekommen. Als studierte Umweltpsychologin und Jugendarbeiterin fällt ihr der Umgang mit den Kindern sichtlich leicht. «Fast 7 kg, Gratulation!», strahlt sie einen schüchternen, schlanken Buben an, als der seinen prallvollen Karottensack stolz von der Waage hebt. Den zweiten Teil übernimmt dessen Vater, der sich noch in Anzug und Krawatte direkt aus dem Büro zur Erntegruppe gesellt hat: Er steckt eine 10-Franken-Note in das Glas neben der Waage.

«Jeder kann in dieses Kässeli geben, was er will und was es ihm wert ist. Aber niemand muss etwas zahlen. Das Geld übergeben wir zum Schluss dem Landwirt, der uns das Feld – häufig auch sehr kurzfristig – zur Nachernte freigibt. Die meisten Landwirte sind von diesen freiwilligen Beiträgen angenehm überrascht», erklärt Elisabeth Müssner.

Auch für die 33-Jährige ging mit dem Verein Ackerschaft ein Herzenswunsch in Erfüllung: «Umweltschutz und Gartenarbeit waren mir immer schon wichtig. Als ich dann im Ideenkanal auf Sandra mit ihrer Idee gestossen bin, wusste ich: Das will ich auch machen.» Und Elisabeth Müssner brachte dafür mit einem Praktikum in einer Gärtnerei für Menschen mit besonderen Bedürfnissen, einer Ausbildung zur Gartentherapeutin und einem Masterstudium in Psychologie ideale Voraussetzungen mit. An Sandra Fausch machte sie noch vor der Vereinsgründung ein klares Angebot: «Ich steig voll ein, aber dann machen wir es g’hörig.»

«G’hörig» ist auch diesmal das Ergebnis auf dem Schaaner Acker: In nur zwei Stunden sind rund 130 kg Karotten aus dem bereits abgeernteten Feld getragen worden und für den Landwirt eine wertschätzende Summe im Kässeli gelandet. Die beiden Vereinsgründerinnen sind sichtlich zufrieden, als sie Bänke zusammenklappen, Banner und Hinweisschilder einrollen und Gartenwerkzeuge sortieren. Während Sandra Fausch ihren Kleinwagen mit geschultem Auge und routinierten Handgriffen belädt, denkt sie bereits an die nächsten Aufgaben: «Heuer haben wir voraussichtlich noch zwei Nachernten für Karotten und Kartoffeln. Aber vielleicht kommen ja noch welche dazu, da uns Landwirte gerne auch einmal ein Feld kurzfristig zur Nachernte anbieten und freigeben.» Elisabeth Müssner blickt beim Aufräumen kurz Richtung Horizont und sinniert in die etwas weitere Zukunft. «Ziele, Pläne und Visionen haben wir genug. Wir wollen aber mit unseren Projekten und Angeboten wie die Natur selbst vorgehen: Die wartet auch in Ruhe, wo es Platz und Möglichkeiten gibt, um sinnvoll und nachhaltig zu wachsen.»