17.11.2022
Ernährung & Landwirtschaft

Von Triesenberg auf den Ruggeller Teller

Was haben ein Bio-Landwirt aus Masescha und eine Gastronomin aus dem Unterland gemeinsam? Beide verbindet nicht nur die Leidenschaft für ihren Beruf, sondern auch die Liebe zu hochwertigem, nachhaltig produziertem Fleisch, das ohne lange Transportwege bei den Konsument:innen landet. – Eine Begegnung auf 1300 Meter Seehöhe.

Ein prachtvoller Nachmittag im Herbst: Strahlend blau leuchtet der Himmel über dem letzten Grün des Jahres, während vereinzelt noch gelbe und rotbraune Blätter sanft von den Bäumen segeln. Nach unzähligen engen Kehren, die man sich mit dem Auto bergwärts schlängelt, ist das Ziel erreicht: der Bauernhof von Normann Bühler in Masescha, weit oberhalb des im Dunst liegenden Rheintales. Ein kräftiger Händedruck und ein freundliches Lächeln zur Begrüssung. Der Landwirt steht vor seinem Stall, Samuel, der jüngste seiner drei Söhne lehnt lässig am Tor. Normann ist wie der Sohn hier oben am Berg aufgewachsen, die Arbeit auf dem Bauernhof ist ihm aber nicht in die Wiege gelegt worden. „Ich habe zunächst Förster gelernt, daneben aber immer schon ein wenig Vieh gehalten. In diesem Umfang allerdings erst nach dem Stallneubau Anfang der 2000er Jahre“, erzählt der Triesenberger. Ein Betrieb, der praktisch von Anfang an alle Kriterien für einen Biohof erfüllte. „Durch die geografische Lage und unsere vielen Almflächen haben wir hier eigentlich nie anders gewirtschaftet. Eine offizielle Bio-Zertifizierung lag daher vor rund 15 Jahren auf der Hand.“ Ein Blick auf die von Solarzellen bedeckte Dachfläche des Stallgebäudes zeigt, dass Normann Ökologie und Nachhaltigkeit auch auf anderen Ebenen weiterdenkt. „Der Strom, der damit erzeugt wird, ist für den Eigenbedarf. Wir betreiben damit im Stall etwa das Heugebläse, den Silohäcksler, den Güllemixer oder die Wasserpumpe.“

Der 50-jährige Landwirt führt in den Stall, den er vor rund 30 Jahren erbauen liess. Eine enge Gasse führt an riesigen Heumengen vorbei zum Vieh, das gerade am Fressen ist und uns neugierig beäugt. „Ich habe derzeit 45 Mutterkühe und Kälber. Und einen Stier“, erzählt der Bergbauer. „Meine Schweine bekomme ich immer erst im Frühjahr. Die sehen diesen Stall aber nie, weil sie von Anfang an oben auf der Alpe Sücka bis zur Schlachtung leben.“

Wie aufs Stichwort erscheint Yunyun Ye auf dem Hof, hat die beiden doch gerade das erwähnte Schweinefleisch beruflich zusammengebracht. Nach einer herzlichen Begrüssung erzählt die Restaurantbetreiberin aus Ruggell, wie es zum ersten Treffen kam. „Ich war wie Normann zur Produzentenarena in Triesen eingeladen, die von der Stiftung Lebenswertes Liechtenstein und vom Verein Feldfreunde organisiert und von Gastro- und Ernährungsexperten Dominik Flammer geleitet wurde“, erinnert sich die 41-jährige Chefköchin, die seit 2014 in Ruggell das Restaurant Tang betreibt. „Ja, und an einem Sonntag ist Normann dann einmal bei uns zum Essen gewesen und ich habe spontan zwei ganze Alpschweine bei ihm bestellt.“

Heute will sich Yunyun zum ersten Mal ein Bild von Normanns Kälbern machen. Während der Landwirt die diplomierte Fleisch-Sommelière in den Aussenbereich zu den Kühen führt, erklärt er aber noch, wie die Schweine bei ihm aufwachsen: „Ich bekomme jedes Jahr im Mai etwa 50 junge Schweine aus der Schweiz. Die wiegen dann rund 20 bis 25 kg und leben den ganzen Sommer über in Freilaufhaltung auf der Sücka. Dort oben haben sie ein tolles Leben und bekommen als Hauptnahrung zunächst vor allem die Schotte, die bei der Käseerzeugung als Abfall übrigbleibt. Später kommt noch Schweinemehl dazu und natürlich all das, was sie selbst im Freien finden – von Gräsern über Würmer bis zu Schnecken.“ Nicht zuletzt sorgt die Haltung mit viel Bewegung auch dafür, dass ihr Fleisch später eine schöne Marmorierung und Festigkeit hat. „Ich nehme Normanns Alpschweine am liebsten zum letztmöglichen Schlachttermin im September“, lacht Yunyun dazwischen. „Dann haben sie eine etwas dickere Fettschicht, die ich für die Zubereitung meiner Speisen brauche. Und sie schmecken einfach sensationell gut.“

Der Bauer und die Köchin stehen mittlerweile vor den Kälbern im Aussenbereich. Normann züchtet von Jersey bis Galloway mit mehreren Rassen, hat aber nur einen einzigen Stier, der auf natürliche Weise für den Nachwuchs sorgt. „Mit den Kälbern produziere ich ausschliesslich Fleisch. Ihnen bleibt daher auch die gesamte Muttermilch und sie dürfen bis zur Schlachtung mit etwa 200 Tagen auch rund 40 Tage länger leben als bei konventioneller Haltung“, erzählt der Triesenberger. Zusätzlich gefüttert wird nur mit Heu und Silage, die von den eigenen landwirtschaftlichen Flächen stammen. Gut vier Monate im Jahr steht das Vieh ohnehin als „Selbstversorger“ auf der Alm.

Zurück im Stall bückt sich Normann zum Futterheu und nimmt zwei volle Hände davon: „Das eine ist rau strukturiertes, aus vielen unterschiedlichen Pflanzen bestehendes Magerheu, wie es bei uns oben auf den Almwiesen nur einmal im Jahr geschnitten wird. Und das andere ist ein Heu, das zusätzlich mit eigenem Mist und eigener Gülle gedüngt worden ist. Die Kühe fressen es fast lieber, deswegen mische ich es immer mit dem Magerheu.“

Es ist spät geworden und die Sonne droht bereits, hinter den Schweizer Bergen zu verschwinden. Bevor sich der Landwirt der abendlichen Stallarbeit zuwenden muss, will er Yunyun noch seine Esel auf einer höhergelegenen Weide zeigen. Auf der Fahrt dorthin erzählt ihm die vielseitig interessierte Köchin, dass Eselfleisch nicht nur sehr bekömmlich ist, sondern speziell zubereitet bei Frauenbeschwerden eine positive medizinische Wirkung haben soll. Für die nahe Zukunft haben die Grautiere in Masescha aber nichts zu befürchten und können sich mit ihrem Vereinspräsidenten Normann Bühler beruhigt auf das nächste Eselfest in Malbun freuen. Aber wer weiss, ob es nicht irgendwann einmal Bio-Eselfleisch auf eine Unterländer Speisekarte schaffen wird...

Fotos: Julian Konrad

Szenenwechsel. Fast 900 Meter tiefer in Ruggell. Yunyun ist zurück in ihrem Restaurant und steht in der Küche. Sie hat ein grosses Nierenstück vorbereitet. Es stammt von einem der beiden Schweine, die sie von Normann Bühler gekauft hat. „Allein die Marmorierung und Zartheit dieses Stückes zeigt mir schon die tolle Fleischqualität. Und ausserdem kommt nirgends Wasser heraus wie bei industrieller Massenware“, schwärmt die Chefköchin. Normalerweise ist sie es gewohnt, hier gleichzeitig mit bis zu acht Woks und drei Küchengehilfen auf engem Raum für ihre Gäste zu kochen. Heute, spätabends und für lediglich vier Personen, kann es die Restaurantbetreiberin deutlich gemütlicher angehen. Sie entfernt zunächst die Fettschicht und erinnert sich dabei an die Lieferung des Fleisches von einem nahen St. Galler Schlachtbetrieb: „Ich habe extra darum gebeten, mir alles zu bringen – auch sämtliche Innereien. Selbst das Blut habe ich vom Schlachthof noch abgeholt. Man kann ja fast alles verwenden und zu herrlichen Gerichten verarbeiten. Wenn Tiere schon für uns sterben, dann sollte man sie auch möglichst komplett verwerten. Meistens wird viel zu viel weggeworfen.“ Diese nachhaltige Einstellung befeuert nicht nur Yunyuns gastronomische Kreativität, sondern beschreibt auch ihren respektvollen Umgang mit dem Rohstoff Fleisch. Dabei wäre die passionierte Köchin um ein Haar zur Vegetarierin geworden. „Ich lebe seit dem 11.Lebensjahr in Österreich, bin seither aber immer wieder auch in meiner alten Heimat in China gewesen. Mit 17 Jahren habe ich dort einmal hautnah das Leid von Tieren ansehen müssen, die nach stressvollen Transporten auch noch brutalst geschlachtet wurden“, erinnert sich die Ruggeller Gastronomin. „Zwei Jahre lang habe ich auf dieses Schockerlebnis hin kein Stück Fleisch runtergebracht. Erst über meine Liebe zu Meeresfrüchten habe ich nach und nach wieder zum Fleischgenuss gefunden. Allerdings nur mehr zu echtem Qualitätsfleisch“, bekennt die Chefköchin.

Yunyuns Handgriffe in der Küche sind flink und routiniert. Während sie spricht, würzt sie nebenbei die Fleischstücke, bereitet die Zutaten vor oder schwenkt gekonnt die Pfannen auf dem Herd. „Ich bin eine Schnellköchin“, erzählt Yunyun. „Bei meinen Kochkursen rate ich den Teilnehmer:innen immer, dass sie mir ständig zusehen müssen, weil ich so rasch fertig bin.“

In der Tat. Nach wenigen Minuten ist bereits ein Tisch im Lokal mit Köstlichkeiten reichlich gedeckt, die aus verschiedenen Schalen und Bambuskörben dampfen: Neben Dim-Sum-Gerichten, deren zarter Nudelteig mit Poulet und Crevetten gefüllt ist, gibt es natürlich auch eine Variation mit Triesenberger Alpschweinefleisch, das auch in einer grossen Portion Mapo Tofu verarbeitet oder mit Kumquat verfeinert serviert wird. Yunyun ist zufrieden und erzählt beim Essen davon, dass sie gern Neues ausprobiert und sich dabei auch von Kund:innen inspirieren lässt. „Auf Gästewunsch habe ich einmal eine vegetarische Frühlingsrolle zubereitet. Mittlerweile ist die im Restaurant ein echter Renner und die beliebteste Vorspeise“, erzählt die Gastronomin stolz.

Ein anderes Rezept für die besondere Nähe zu ihren Besucher:innen sind die guten Deutschkenntnisse der aus China stammenden Österreicherin. Selbst der heimische Dialekt ist kein Problem. „Auf Autofahrten höre ich immer nur Radio L. Und meine Mitarbeitenden aus Liechtenstein dürfen mit mir nur Dialekt reden.“ Yunyun, die ihr Restaurant in Ruggell seit mittlerweile fast 10 Jahren führt, fühlt sich aber weit über die Sprache hinaus mit Liechtenstein und den Menschen im Land verbunden. „Die ersten Jahre waren sehr schwierig und unser Restaurant immer wieder knapp vor dem Zusperren. Aber danach ging es stetig bergauf und speziell während der Pandemie war ich überwältigt, wie mir meine Stammkund:innen nicht nur zu einem Take-away-Betrieb geraten, sondern mir dann auch tatsächlich die Treue gehalten haben“, erinnert sich Yunyun. „Ich habe von den Menschen hier viel gelernt und ihnen auch viel zu verdanken.“

Für die tatkräftige Gastronomin keine Einbahnstrasse. Neben dem eigenen Qualitätsanspruch beweist sie der Region auch damit ihre Verbundenheit, indem sie neben dem Fleisch auch bei sonstigen Lebensmitteln und Zutaten Wert auf Regionalität legt. Trotz dafür anfallender Mehrkosten läuft das Restaurant bestens und der Kundenkreis ist von Arbeiter:innen bis zu Unternehmer:innen bunt gemischt. Mitunter sind auch Gäste dabei, die nicht alltäglich sind. „Eines Tages sass plötzlich Andreas Caminada, der berühmte Schweizer Starkoch, mit seiner Familie bei uns. Nach dem Essen kam er noch zu mir und sagte, dass ich in seinen Augen das beste Chinarestaurant der ganzen Region sei. So etwas freut und motiviert mich natürlich“, erinnert sich Yunyun.

Man muss allerdings kein ausgewiesener Gourmetexperte sein, um nach einem Besuch im Ruggeller Restaurant eines klar zu erkennen: Die Mischung aus hochwertigem, regional und ökologisch produziertem Fleisch und einer innovativen, auf Qualität und Nachhaltigkeit setzenden Gastronomie kann auch in Zeiten von steigenden Kosten und hohem Preisdruck bestens funktionieren. Mehr noch: Sie schmeckt einfach hervorragend.

Fotos: Julian Konrad

Biohof Normann Bühler

- Vollerwerbsbetrieb
- Mitglied Verein Feldfreunde
- Leitbetrieb von Bionetz Liechtenstein
- Bewirtschaftung nach Bio Suisse Richtlinien
- Viehbestand (Stand November 2022)
- 45 Kühe (Mutterkühe und Kälber, 1 Stier, verschiedene Rassen)
- 12 Esel
- 4 Pferde (Freiberger)
- 2 Ziegen
- rund 50 Alpschweine (von Mai bis September)
- 33 ha Grünland + verschiedene, zusätzliche Alpflächen in Triesenberg
- von 600 bis 2000 m Seehöhe

Kontakt:

Norman Bühler
Rietlistrasse 3
FL-9497 Triesenberg
T +41 79 438 00 45
n.buehler@powersurf.li

Restaurant TANG

- seit 2014
- max. Gästekapazität 60 Personen
- geführt von Yunyun Ye (Chefköchin, dipl. Fleisch-Sommelière) und ihrem Bruder Nan Ye (dipl. Wein- und Tee-Sommelier)
- auch Catering und Eventgastronomie (Dorffeste, etc.)

Kontakt:

Yunyun Ye
Dorfstrasse 29
FL-9491 Ruggell
T +423 231 11 68
info@tang-restaurant.com

www.tang-restaurant.com